Drogen-Handel auf TikTok, WhatsApp und Telegram – wie einfach ist das?

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Drogen-Handel auf TikTok, WhatsApp und Telegram – wie einfach ist das?

Drogen-Handel auf TikTok, WhatsApp und Telegram – wie einfach ist das?

Drogen Wie schnell gelangt man auf sozialen Netzwerken an Kokain oder Heroin? (Foto: Matteo Badini | Unsplash)

Zwei Journalistinnen stießen auf unzählige TikTok-Videos in denen Minderjährige harte Drogen zelebrierten. In ihrer halbstündigen Doku gingen sie der Frage nach, wie schnell man auf sozialen Netzwerken an Kokain oder Ecstasy gelangt. Das Resultat: für Heranwachsende erschreckend einfach!

Stellen Sie sich vor, im Kinderzimmer Ihrer Ältesten steigt gerade eine wilde Drogenparty: zu Hip-Hop-Beats und Texten wie „Hardcore High“ lassen Minderjährige jede erdenkliche illegale Substanz rumgehen. Es wird gesnifft, gekokst, gespritzt. Kaum machen Sie neugierig die Türe auf, wird die TikTok-App geschlossen und Ihre Tochter gibt ein gelangweiltes „Mach gerade die Hausaufgaben“ von sich.

So oder so ähnlich erleben es Heranwachsende, die über soziale Medien aus Neugier in den Drogenbann gezogen werden. Isabell Beer und Désirée Fehringer von „STRG_F“ veröffentlichten im August 2022 eine Reportage, in der sie die digitale Drogenszene genau unter die Lupe nahmen:

Um das Video sehen zu können, müssen Sie der Übertragung der Daten an YouTube zustimmen. Dadurch werden Informationen an YouTube übermittelt und unter Umständen dort gespeichert. Sie können Ihre Cookie-Einstellungen jederzeit anpassen.

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    Realer Drogenkonsum: wenn Drugfluencer viral gehen
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    Handel auf WhatsApp und Telegram-Gruppen funktioniert „kinderleicht“
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    Werden Drogenkonsumenten immer jünger?
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    Was tun die Plattformen dagegen?
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    Ist drogenverherrlichende Musik ein Teil des Problems?
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    Was können Eltern tun?
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    Welche professiolle Hilfsangebote existieren?

Realer Drogenkonsum: wenn Drugfluencer viral gehen

Unter hashtags wie #tanteemma, #ballern oder #ehfd, was für „Ein Herz für Drogen“ steht, zelebrieren Heranwachsende ihren Drogentrip, tanzen zu drogenverherrlichenden Rapsongs oder rauchen vor laufender Smartphone-Kamera Crack. Schnell verbreiten sich solche Clips viral. In kürzester Zeit erhielt ein TikTok-Video einer jungen Deutschen live auf ihrem Heroin-Trip 5.000 Likes – so stellt es die Doku von Strg_F dar. Allein der Hashtag #ehfd verzeichnet bereits über fünf Millionen Aufrufe auf TikTok.

Handel auf WhatsApp und Telegram-Gruppen funktioniert „kinderleicht“

„Du brauchst keine Skills, du musst nur wissen, wie man ein Handy bedient. Du musst nicht wissen, wie man ins Darknet kommt. Du musst nur dein Handy rausholen und eine Nachricht eintippen“, so beschrieb es 2021 ein NDR-Reporter bei Recherchen zum Drogenhandel auf Telegram. Auch über TikTok geben sich Heranwachsende offen Tipps, auf welchen Kanälen man in welcher Stadt an Drogen kommt:

Über Links und QR-Codes in TikTok-Konten sowie -Chats gelangt man spielend einfach auf Telegram- oder WhatsApp-Gruppen, in denen Drogen feilgeboten werden. Die Funk-Journalistinnen aus der Doku konnten für Recherchezwecke innerhalb weniger Tage eine Kleinstmenge MDMA bestellen.

„Die Hemmschwelle wurde gesenkt“, so lautet das Fazit von Prof. Volker Auwärter, der in Freiburg als forensischer Toxikologe arbeitet. Gemeint ist damit, dass die Kombination aus anonymen Chat-Apps und Drogentaxis es für Heranwachsende unnötig macht, sich für die Drogenbeschaffung in ein zwielichtiges und gefährliches Milieu zu begeben. Die Drogen kommen per Knopfdruck.

Werden Drogenkonsumenten immer jünger?

Offizielle Zahlen wie die von der Fachstelle Suchtprävention des Landes Berlin sagen Folgendes: „Das durchschnittliche Alter bei Erstkonsum der Berliner Jugendlichen beträgt 14,4 Jahre“ bei Cannabis. Laut deren Zahlen hat ein Drittel der „der Berliner Schüler*innen zwischen 12 und 20 Jahren schon einmal Cannabis konsumiert“. Diese Zahlen liegen deutlich höher als eine Literaturrecherche im deutschen Ärzteblatt von 2022: Demzufolge hat nur „jeder zehnte Jugendliche (10,4 %) schon einmal Cannabis probiert“ und nur „1,7 % in der Gruppe der 12- bis 17-Jährigen“ andere illegale Drogen. In einer Zahlenreihe von 2002 bis 2020 im MoSyD – Jahresbericht 2020 (Monitoring-System Drogentrends) der Goethe-Universität Frankfurt wurde aufgezeigt, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler ohne harten Drogen leben – in 2002 hatten noch 16 Prozent der männlichen Schüler eine Lebenszeit-Prävalenz, 2020 nur noch 11 Prozent.

Medial werden hingegen mehr die Extreme beleuchtet. Drogenexperimente können sogar schon vor der Pubertät anfangen – so wie im Fall von „Jenny“ aus einer MDR-Reportage, welche bereits mit 9 Jahren mit Marihuana und mit 10 Jahren mit chemischen Drogen anfing. Aber auch Sozialpädagogen berichten jüngst von zunehmendem „Drogenkonsum in immer jüngeren Jahren, aber auch vermehrt Mobbing mit Schutzgelderpressungen“ – so wie der Bad Kissinger Streetworker Christan Fenn im März 2022 auf der Jahreshauptversammlung des Kidro e. V. Niederschwellige Hilfen.

Was tun die Plattformen dagegen?

Die Plattformen verbieten offiziell die Verbreitung von Inhalten, welche den Drogenkonsum verherrlichen. TikTok schreibt in seinen Communtiy-Richtlinien:“

„Wir untersagen das Darstellen von, das Bewerben von und den Handel mit Drogen oder anderen kontrollierten Substanzen. Auch der Handel mit Tabakerzeugnissen und alkoholischen Erzeugnissen auf der Plattform ist nicht gestattet.“

Die Funk-Reporterinnen wollten von TikTok wissen, warum Drogen-Clips unzensiert gepostet werden dürfen. Nach zwei Fristverstreichungen kam folgende Antwort:

Im Laufe der Recherchen löschte TikTok einen Teil der von den Reporterinnen erwähnten Clips. Eigene Suchen auf TikTok nach bestimmten Hashtags zeigen, dass Posts und Kommentare über Drogenkonsum und -beschaffung weiterhin offen zugänglich sind (Stand: 26. August 2022):

Anzunehmen ist, dass bei wachsender medialer Berichterstattung und dem daraus entstehenden politischen Druck, die Plattformen sich veranlasst sehen, ihre Richtlinien besser durchzusetzen. Dies führt aber langfristig zu keiner für Lösung, welche Betroffenen wirklich hilft. Denn die Drogenszene verlagert sich stetig: vor fünf Jahren noch auf Facebook, später auf Instagram, jetzt auf TikTok.

Ist drogenverherrlichende Musik ein Teil des Problems?

Die STRG_F-Doku beleuchtet den Zusammenhang von Hip-Hop-Songs – in denen der Drogenkonsum positiv dargestellt wird – und der jugendlichen Drogenkultur. Einige YouTube-Kommentare wenden ein, dass drogenverherrlichende Musik nicht für die Drogenexperimente von Heranwachsenden verantwortlich gemacht werden können. Schließlich zelebrieren und hören Drogenkonsumenten nur die Musik, die auch zum persönlichen Lebensstil passt. Angespielt wird hierbei auf Studien, die belegen wollen, dass „Hörer von Rap“ häufiger zu Drogen greifen und verweisen auf das Henne-Ei-Problem. Leider bleibt die Frage im Raum, wie stark virale Drogenvideos oder drogenglorifizierende Rap-Musik auch für diejenigen einladend wirken, die bislang keine Drogenexperimente gemacht haben. Pädagogisch muss auch hinterfragt werden, warum ein riskanter Lebensstil überhaupt glorifiziert oder viral verbreitet wird.

Was können Eltern tun?

Über Risiken offen reden

Eltern können ihre Kinder dabei unterstützen, Risiken (on- und offline) zu erkennen und richtig einzuschätzen. Hierbei ist ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Kindern sowie eine entspannte Gesprächsatmosphäre hilfreich. Vermieden werden sollten Verhör-Methoden, Verallgemeinerungen in Gut und Schlecht oder das Lächerlich-machen von Themen, die Kindern ernst sind. Bei dem Gespräch kann auch hinterfragt werden, warum ein riskantes oder menschenverachtendes Verhalten so stark Aufmerksamkeit bekommt.

Stärken stärken, Grenzen setzen

Kinder, die über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügen, sind eher in der Lage „Nein“ zu sagen und dem Gruppendruck nicht nachzugeben. Wenn Kinder sich ihrer eigenen Stärke und ihrem elterlichen Rückhalt bewusst sind, aber auch wissen, wo ihre Eltern klare Grenzen setzen, kann das problematisches Verhalten verhindern. 

Familieneinstellungen aktivieren

Sollten Kinder auf ein internetffähiges Smartphone zugreifen dürfen, sollten definitiv die Familieneinstellungen (auch innerhalb der Apps) aktiviert werden. Mehr dazu unter www.medien-kindersicher.de.

Alternativen anbieten

Computer, Smartphone und virtuelle Welten sind nur eine von vielen Möglichkeiten, die Welt zu erschließen, Freundschaften zu pflegen oder Abenteuer zu erleben. Eltern sollten darauf achten, dass nicht nur die digitalen Varianten den Alltag der Kinder prägen. Die Freude am Malen, Musizieren, Basteln, Sport oder Fotografie muss Kindern und Jugendlichen vorgelebt und ermöglicht werden.

Stand: August 2022

Weiterführende Informationen

Über den Autor

Christian Reinhold ist seit über 10 Jahren Redakteur der Initiative Kindermedienland. Privat fotografiert er leidenschaftlich gern und spielt Gitarre.