Wie toxisches Verhalten Teile der Gaming-Community spaltet

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Wie toxisches Verhalten Teile der Gaming-Community spaltet

Wie toxisches Verhalten Teile der Gaming-Community spaltet

Gaming ist beliebter als es jemals war. Dennoch leiden viele Plattformen unter Sexismus, Rassismus und Gewalt.

Stand: September 2025 | Lesezeit: 7 min.

Der überwiegende Teil der Gaming-Community ist friedlich und tolerant. Dennoch gibt es immer wieder rassistische Beleidigungen, offenen Sexismus, Antisemitismus und Cybergrooming. Der Grund: Die Chats vieler Gaming-Plattformen sind ungefilterte Tummelplätze für toxisches Verhalten. Das muss aber nicht so sein.

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    Gaming ist angesagt wie nie
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    Das Problem in einigen Gaming-Communitys
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    Die Ursachen
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    Fehlende Regulierung
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    Kampf gegen Windmühlen?

Gaming ist angesagt wie nie

 

Die Gaming-Branche boomt. Aktuelle zur Gamescom-Messe veröffentlichte Zahlen zeigen, dass in Deutschland so viele Menschen wie nie zuvor digitale Spiele zocken. Rund sechs von zehn Deutschen (59 Prozent) im Alter von 6 bis 69 Jahren spielen Games. Das sind etwa 37,5 Millionen Menschen. Darunter befinden sich immer mehr Frauen: Rund 48 Prozent sind Gamerinnen – und die spielen im Schnitt sogar ein paar Minuten länger täglich als die Männer.

 

Das Problem in einigen Gaming-Communitys

Das liest sich zunächst alles sehr interessant und harmlos. Doch die Teilbereiche der Gaming-Szene hat ein Problem. Rassistische oder sexistische Nachrichten in unregulierten Voice-Chats, Hakenkreuze in Gaming-Gruppen oder sogar nachspielbare rechtsextreme Attentate auf offenen Plattformen wie Roblox: Auch in einer überwiegend friedlichen Community tummeln sich eine Menge Trolle und schwarze Schafe, die die fehlende Regulierung auf den meisten Plattformen für abstoßendes oder offen kriminelles Verhalten nutzen – bis hin zu Fällen von pädophilem Cybergrooming.

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung, die pünktlich zur weltgrößten Gaming-Messe Gamescom veröffentlicht wurde, zeichnet ein differenziertes und diverses, aber auch problematisches Bild der Szene. Gaming, so der Tenor, könne trennen, aber auch vereinen. Zudem könne Einsamkeit verstärkt, aber auch neuer Kontakt ermöglicht werden. Diese zwei Seiten, die gibt es natürlich immer, letztlich kennen wir das ja auch schon von den sozialen Medien. Auch die Schattenseiten sind beim Gaming ähnlich deutlich ausgeprägt: 38 Prozent der Vielspieler wurden beim Gaming „sehr oder eher häufig“ beleidigt. Dafür wurden 81 Prozent der Spielenden hingegen noch nie diskriminiert oder belästigt, wobei man betonen muss, dass die Mehrheit der Befragten alleine spielt. Wer auf offenen Plattformen spielt, auf denen man in direkten Kontakt mit anderen Gamern treten kann, stößt häufig auf Hetze. Sexismus, Rassismus, Antisemitismus oder Queerfeindlichkeit sind in den Kanälen von Anbietern wie beispielsweise Steam häufig zu finden.

Die Ursachen

In der Gaming-Szene, und da insbesondere in eher männlich besetzten Multiplayer-Spielen, herrscht ein rauer Umgangston. Der ist per se erst mal nicht verwerflich, man weiß ja, wie Jugendliche manchmal zueinander sind und was sie sich im Spaß an den Kopf werfen. Die Extremität mancher Games und die Anonymität im Netz befeuern dies erheblich. „Wie viel Respekt untereinander herrscht, hängt stark von Spiel und Plattform ab“, so Medienpädagoge Dejan Simonović von der ComputerSpielSchule Stuttgart. „Es gibt Communitys, die sehr auf Harmonie und Inklusivität bedacht sind und bei denen auch die Plattformbetreiber ein sehr genaues Auge auf den Diskurs haben. Und dann gibt es eben augenscheinlich toughe Games, bei denen auch die User tough herüberkommen wollen. Dazu gehört eben eine bestimmte Härte in Sprache und Ausdruck. Und was die Plattformbetreiber natürlich nicht wollen, ist, ihre Stammspieler zu zensieren, weil sie sonst monetäre Einbußen zu verzeichnen hätten.“

Julius Dorsel von Entwicklerstudio Mucks! Games aus Ludwigsburg ergänzt das: „Probleme tauchen vermehrt bei Spielen auf, bei denen es etwas zu verlieren gibt und die dezidiert kompetitiv sind. Wie im echten Leben, fällt es Menschen oft schwer, bei sich selbst Fehler zu finden. Sie suchen stattdessen bei anderen die Schuld. Das wird durch negative Stereotype wie ‚Frauen sind keine echten Gamer‘ dann noch bestärkt.“

 

Fehlende Regulierung

Nehmen wir als Beispiel nur mal die Gaming-Plattform Roblox. Hierbei handelt es sich nicht um ein einzelnes Spiel im eigentlichen Sinne, sondern um ein Baukastensystem, in dem jeder seine Mini-Games, Szenarien oder Welten entwerfen und programmieren kann. Obwohl die Benutzung ab 16 Jahren empfohlen wird, sind viele der 90 Millionen täglichen (!) User weit jüngere Kinder. „Und die sind dann plötzlich Darstellung von Gewalt, sexuellen Handlungen, Drogenkonsum oder unangemessener Sprache ausgesetzt“, so Dejan Simonović. „Außerdem gibt es durch die offenen Chats durchaus Nutzungsrisiken, weil praktisch jeder mit jedem in Kontakt treten kann. Das wird von der überwältigenden Mehrheit der Spieler harmlos genutzt; ein Restrisiko für Cybergrooming-Täter, sexistische oder rassistische Angriffe bleibt aber bestehen.“

Dies sei kein Problem von Roblox allein und käme quer durch alle Plattformen und Anbieter vor – von FIFA bis Minecraft. Julius Dorsel bringt es auf den Punkt: „Plattformen, die wenig bis gar nicht moderiert sind, haben auch die größten Probleme. 4Chan ist die klassische ‚online sexist platform‘, aus der beispielsweise auch die Incel-Bewegung entstanden ist.“ Dennoch haben laut Simonović mittlerweile viele Plattformen „längst gewisse Filter und Mechanismen implementiert, um Kraftausdrücke oder beleidigende Sprache zu unterdrücken.“ Dies funktioniere oft aber eben nur sehr ungenügend. Deswegen befasst sich die USK, die zentrale Stelle zur Alterskennzeichnung von Videospielen, inzwischen neben den Inhalten auch mit Nutzungsrisiken wie diesen.

Was fehle, sei ein vernünftiges Community-Management. Das wollen sich große Plattformen wie Steam trotz Milliardenumsätzen nicht oder nur sehr mikroskopisch leisten. „Viele scheinen sich nicht daran zu stören, weil sich die meisten User offensichtlich daran gewöhnt haben“, meint Dejan Simonović. Dennoch sei das zu kurz gedacht: Menschen, die Diskriminierung oder Beleidigung ausgesetzt sind, wechseln häufig die Plattform oder hören auf, bestimmte Games zu spielen. Es tue den Plattformen aber einfach nicht genug weh. Eine EU-Regulierung hält er in diesen Dingen für ähnlich schwierig wie bei anderen Riesenkonzernen wie Instagram. „Egal, welche Gesetze verabschiedet werden – sie werden ignoriert oder durch Lobbyarbeit torpediert.“

Kampf gegen Windmühlen?

Ein Kampf gegen Windmühlen also? Nicht ganz: Letztlich kann jeder Gamer aktiv dazu beitragen, die Szene inklusiver, toleranter und friedlicher zu machen. Jede Plattform erlaubt es inzwischen, andere Gamer zu melden. Diskriminierendes Verhalten ist Grund genug, gesperrt zu werden. „Es ist genau wie im echten Leben: Nicht wegsehen“, so Julius Dorsel von Mucks! Games. „Wer problematisches Verhalten beobachtet, muss es melden, die Täter direkt damit konfrontieren. Toxische Spieler müssen bemerken, dass ihr Verhalten nicht nur von Entwicklern, sondern auch von der Community nicht geduldet wird.“ Inzwischen gibt es Zusammenschlüsse und Communitys, die sich für inklusive Gaming-Plattformen starkmachen und toxisches Verhalten nicht dulden. Es dürften aber gern noch mehr sein.

Auch die Entwickler sind da gefragt: Je mehr Spiele divers gestaltet sind und auf stereotype Darstellung weiblicher Charaktere verzichten, desto schneller zieht Inklusivität in den Gaming-Alltag ein. „Spieleentwickler, die weibliche Charaktere gar nicht oder nur hypersexualisiert in ihre Spiele einbauen, sind nicht mehr zeitgemäß“, sagt Clara Deitmar von Mucks! Games. „Sie sprechen mit ihren Spielen die kleine, aber lautstarke Gruppe sexistischer Gamer an und stoßen die breite Masse an Spielern ab.“ Schon das Design eines Spiels kann also toxisches Verhalten verhindern: Wie die Charaktere aussehen oder sich verhalten oder ob es in Rollenspielen etwa freie Pronomenwahl gibt, kann diese Prozesse beschleunigen. „Verschiedene Studien zeigen deutlich, dass inklusive Darstellung den Anteil an weiblichen Spielerinnen erhöht, und das bei gleichen Genres“, so Julius Dorsel. Mucks! Games macht vor, wie es geht: Ihr neues Spiel „Frieda is changing“ führt in der Rolle eines 14-jährigen Mädchens in einer feindseligen, sexistischen Gemeinschaft und zeigt Wege auf, wie man als junge Frau damit umgehen und eine derartige Situation letztlich sogar überwinden kann.

Fazit: Die Mehrheit der Gamerinnen und Gamer ist friedlich, tolerant und auf Harmonie bedacht. Wenige schwarze Schafe sind lauter als die stille Mehrheit – und sollten deswegen nicht unbeschadet davonkommen. Wenn die Community also zusammenrückt, wenn Spieler*innen und Entwicklungsstudios an einem Strang ziehen, Entgleisungen konsequent gemeldet werden und mehr Community-Management implementiert werden würde, könnte das alles schon ganz anders aussehen. Wie gesagt: Könnte.

 

Weiterführende Informationen

Über den Autor

Björn Springorum ist freier Journalist und Schriftsteller. Er schreibt u.a. für die Stuttgarter Zeitung, den Tagesspiegel und konzipiert Comic-Geschichten für “Die drei ???". Als Schriftsteller hat er bislang fünf Kinder- und Jugendbücher verfasst. Zuletzt erschienen: “Kinder des Windes" (2020), Thienemann Verlag. Er lebt in Stuttgart.