Medienbildung, Demokratiestärkung, Kreativität: Was Kinder vom Medium Film lernen können

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Medienbildung, Demokratiestärkung, Kreativität: Was Kinder vom Medium Film lernen können

Medienbildung, Demokratiestärkung, Kreativität: Was Kinder vom Medium Film lernen können

Trickfilm kann unterhalten, beflügeln, begeistern. Er kann aber auch unsere Demokratie stärken. (Bild: ITFS)

Das Internationale Trickfilmfestival steht vor der Tür. Schon lange weiß man um den pädagogischen und medienbildenden Wert der bunten Bilder. Dabei kann das Medium Film noch viel mehr – wenn man es richtig einzusetzen weiß.

Filme erzählen Geschichten. Diese können Identität stiften, Aufklärung betreiben, Sachverhalte erklären oder gar einfach dafür sorgen, dass man sich mit seinem Problem nicht so allein fühlt. Insbesondere für Kinder und Jugendliche ist das essentiell, um sich in der Welt zu verankern und als Teil von ihr zu fühlen. Neben dem passiven Konsum wird hierbei auch der aktive Part immer spannender: Dank neuer Technologien können selbst Kinder und Jugendliche in die Rolle von Regisseur*innen, sogenannten Content Creater*innen, schlüpfen. Das bringt viele medienpädagogische Vorteile mit sich. Und macht natürlich auch einen riesigen Spaß.

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    Trickfilm im Wandel
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    Kreativität stärken, Medienkompetenz erwerben
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    Film als Demokratiestärker
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    Der Weg zum eigenen Film
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    Tricks für Kids beim ITFS

Trickfilm im Wandel

Bis heute haben Trickfilme nicht bei allen einen leichten Stand, waren lange Zeit gar verpönt. Albern und reine Zeitverschwendung seien sie, gerne auch gewaltverherrlichend. Zu Unrecht, findet Medienpädagoge Andreas Streble von der Medienkita. „Von ‚verpönt‘ kann man eigentlich nur im familiären Kontext sprechen und bei einer unreflektierten und rein konsumorientierten Nutzung sprechen“, meint er. „Hochwertig produzierte Trickfilme, Märchenfilme, Schattenfilme – gerade tschechische Produktionen – leisten schon immer einen sehr wertvollen Beitrag zur Unterhaltung von Kindern.“

Katharina Vogt, die Projektmanagerin bei Tricks für Kids im Rahmen des Internationalen Trickfilmfestivals (ITFS), kann dem nur beipflichten. „Natürlich hat sich schon einiges getan“, befindet sie, „dennoch arbeiten wir weiter mit viel Geduld und vor allem Qualität gegen diese Vorurteile. Nicht zuletzt leisten da gerade Studios aus Stuttgart und Ludwigsburg tolle Arbeit – etwa Studio Soi mit „Trudes Tier“ bei der Sendung mit der Maus, Studio Film Bilder mit den „Animanimals“ oder ganz aktuell die Neuauflage vom Pumuckl, ebenfalls von Studio Soi.“ Trickfilm, betont sie außerdem, ist in der Lage, wichtige geschichtliche Ereignisse kindgerecht aufzuarbeiten und somit leicht konsumierbare Bildungsarbeit zu leisten.

Kreativität stärken, Medienkompetenz erwerben

Filme passiv konsumieren ist aber natürlich nur das eine; die Verbreitung von Tablets und das Aufkommen von intuitiver, einfach verständlicher Software macht aber auch die Produktion eigener (Trick-)Filme immer einfacher. Vogt vom ITFS begrüßt diese Entwicklung: „Je leichter Kids der Einstieg technisch gemacht wird, desto besser. Wenn sie schnell sichtbar gute Ergebnisse erzielen können ist das sehr motivierend.“ Neben dem bloßen Spaß an der Sache erfüllt die Rolle des aktiven Gestaltens aber noch eine andere wichtige Funktion: „Kids erfahren so auch, wie einfach es für Profis sein kann, Filme zu generieren und potenziell auch die Wahrnehmung zu manipulieren. So wird durch die eigene Produktion auch automatisch der eigene kritische Blick auf Medien – insbesondere Social Media – geschärft und spielerisch Medienkompetenz erworben.“

Deswegen ist die Gestaltung einfacher Animationsfilme seit Jahrzehnten ein wichtiger Faktor in der aktiven Medienarbeit mit Kindern und Jugendlichen. „Einen besonderen Schub“, so Streble, „hat es natürlich durch die technischen Möglichkeiten von Smartphones und Tablets erhalten.“ Auch aus seiner Sicht kann die eigene Produktion die Medienkompetenz stärken – und zwar auf allen Ebenen: Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung. „Insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen findet hier ganz viel Medienbildung und Kompetenzförderung statt beim Tun, beim Erstellen von Content, beim Posten, beim Umgehen mit Reaktionen. Und das, ohne sie dazu zwingen oder treiben zu müssen.“ So entsteht ein regelrechtes Perpetuum mobile – und das ganz ohne Eingriff von außen.

Und da ist noch etwas: „Das Besondere am Animationsfilm als künstlerische Ausdrucksform ist die Möglichkeit der Verfremdung“, so Vogt von Tricks für Kids. „Mit diesem Medium kann ich persönliche Geschichten erzählen und meine Emotionen ausdrücken, ohne mich selbst auszustellen. Also mein Inneres offenbaren und gleichzeitig eine gewisse Anonymität wahren, wenn ich möchte.“ Insbesondere bei sensiblen Themen ist das oftmals ein guter Weg.

Film als Demokratiestärker

Wer seine eigenen Filme produziert, schult sich aber nicht nur in Sachen Medienbildung; ultimativ kann die Rolle der Createrin oder des Creators auch dazu führen, dass Kids und Jugendliche den Wert der Demokratie besser verstehen und somit auch besser für sie einstehen können. „Film zeigt in der Gestaltung und Interpretation immer, dass es verschiedene Wege zum Ziel gibt“, führt Andreas Streble aus. „Insofern arbeitet Film immer gegen simple oder monokausale Konstruktionen, wie sie der Populismus serviert. Film fordert dazu heraus, sich mit Standpunkten anderer auseinanderzusetzen und diese grundsätzlich einmal zu respektieren.“ Medienkompetenzförderung bedeutet eben immer auch Demokratieförderung. Streble nickt: „Zu den existenziellen Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen gehört heute Medienkompetenz entscheidend dazu, um konstruktiv, kreativ und durchaus kritisch an einer Gesellschaft teilhaben und mitwirken zu können.“

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass gerade der Animationsfilm aus Einzelschicksalen eine universelle Botschaft macht. „Durch den Effekt der Verfremdung kann man sich leichter mit den Charakteren identifizieren“, findet Katharina Vogt. „Eine dargestellte Person oder ein Tier steht damit für alle Menschen, die Ähnliches erlebt haben.“ Der Animationsfilm kann seine Protagonist*innen aber auch schützen, weiß sie: „Animationsfilmschaffende können sich frei ausdrücken: Über Gefühle sprechen, ohne sich als Person angreifbar zu machen. Über Widerstand und Fluchterfahrung erzählen, ohne Verfolgung oder Polizeigewalt zu fürchten. Trickfilm schützt Meinungs- und Kunstfreiheit ganz besonders da, wo es im Alltag keine Freiheit mehr gibt. So kann man mit Animationsfilm in totalitären Staaten die Zensurbehörden umgehen und sich so vor Folter und Gefängnis schützen.“ Wichtige Beispiele hierfür seien der animierte Dokumentarfilm „Flee“ über die Geschichte einer Flucht aus Afghanistan oder der Kurzfilm „Suleima“ des syrischen Regisseurs Jalal Maghout aus Berlin.

Der Weg zum eigenen Film

Ein erster Schritt zum eigenen Film kann natürlich auch auf dem ITFS getan werden. Dort (und anderswo auch) gibt es Stop-Motion-Workshops, die eine Art Erstkontakt mit dem Medium Trickfilm darstellen. Danach reichen faktisch Handy oder Tablet, um einen Film zu drehen, zu schneiden und zu vertonen. „Ein guter Weg zum eigenen Film führt heutzutage über die Erstellung eines Reels für Instagram oder TikTok“, so Streble. „Nach dem Motto: Ich hab da was, was ich transportieren will, und wie mach ich das jetzt, um dann auch die gewünschte Wirkung zu erzielen.“

Beachten sollten interessierte Kids bei Erstellen eines Films vor allem die Rechte anderer und einen reifen Umgang mit KI. „Ein wenig Kenntnisse über Kameraeinstellungen, Schnitt, Montagemöglichkeiten sollte man sich dann wahrscheinlich auch noch aneignen“, meint Streble. „Meistens ist die Realisierung eines Filmprojekts dann doch deutlich aufwendiger als man sich das spontan vorstellt.“ Aber dafür gibt es ja Medienpädagog*innen wie ihn und Angebote wie Tricks für Kids beim ITFS. Ein Eintritt in die Welt des Films ist damit zumindest mal geschafft. Wer diesen Weg weitergehen möchte, hat im Land zahlreiche Möglichkeiten dazu: Die Filmakademie in Ludwigsburg, die Hochschule der Medien Stuttgart oder die PH Ludwigsburg bieten filmbezogene Studiengänge an.

Tricks für Kids beim ITFS

Das Internationale Trickfilmfestival steigt in diesem Jahr vom 23. bis zum 28. April 2024 – mit gewohnt üppigem Programm und dem kostenlosen Open-Air auf dem Schlossplatz. Insbesondere beim Kinderprogramm Tricks für Kids ist da auch für die Jüngeren eine Menge geboten. Ein Kurzfilmprogramm, tägliche Familienfilme beim Open-Air sowie ein großes Mitmachprogramm etwa mit der Trickfilm-Werkstatt, die das ITFS seit vielen Jahren in Kooperation mit dem Kindermedienland anbietet. „Das offene Workshop-Angebot in der Activity Area auf dem Schlossplatz beschäftigt sich beispielsweise mit dem Thema Europa“, so Vogt. „Es ist kostenlos, niedrigschwellig und vor allem vielfältig.“ Film kann eben alles sein. Wenn man ihn lässt.

Stand: April 2024

Weiterführende Informationen

Über den Autor

Björn Springorum ist freier Journalist und Schriftsteller. Er schreibt u.a. für die Stuttgarter Zeitung, den Tagesspiegel und konzipiert Comic-Geschichten für “Die drei ???". Als Schriftsteller hat er bislang fünf Kinder- und Jugendbücher verfasst. Zuletzt erschienen: “Kinder des Windes" (2020), Thienemann Verlag. Er lebt in Stuttgart.