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Digitale Selbstregulierung: Warum Jugendliche und Erwachsene weniger online sein wollen
Stand: August 2025 | Lesezeit: 6 min.
Jugendliche regulieren ihre Screentime freiwillig, um ihre mentale Gesundheit zu schützen, Erwachsene strömen in Offline-Clubs und sogenannte Dumbphones gewinnen an Marktanteil: Immer mehr Menschen wollen weniger Zeit online verbringen. Warum eigentlich?
- 1Selbstregulierung als Selbstschutz
- 2Offlineräume schaffen
- 3Screentime ist nicht gleich Screentime
- 4Digital Detox
Selbstregulierung als Selbstschutz
Eine aktuelle Studie aus Großbritannien hat herausgefunden, dass sich mehr und mehr Jugendliche in Sachen Screentime bewusst selbst regulieren, um ihre mentale Gesundheit zu schützen. Die Zahl der zwölf- bis 15-Jährigen, die Pausen von Smartphones, Computern und iPads einlegen, ist laut dem Marktforschungsunternehmen GWI seit 2022 um 18 % auf 40 % gestiegen. Das Unternehmen stützt sich dabei auf eine Umfrage unter 20.000 Jugendlichen und ihren Eltern in 18 Ländern. In den Recherchen zu der Studie heißt es: „Kinder haben die Botschaft verstanden – von ihren Eltern, den Medien, ihren eigenen Erfahrungen –, dass zu viel Social Media nicht immer gut für sie ist. Deshalb probieren sie verschiedene Möglichkeiten aus, um ihr Wohlbefinden zu schützen, ohne Social Media ganz aufgeben zu wollen.“
Digitaltrainerin Monika Rath kennt die Studie, kann ähnliches hier in Baden-Württemberg aber nicht bestätigen. „Dieses Thema ist mir noch nicht begegnet“, meint sie, merkt aber an, dass die Hälfte ihrer Einsätze mittlerweile an Grundschulen stattfindet. Weil Kinder immer früher ein Smartphones besitzen. „Was wir aber immer wieder feststellen, ist, wie essentiell regulierte Bildschirmzeiten sind – ob freiwillig oder durch die Eltern. Nur etwa ein Drittel der Kinder hat feste Bildschirmzeiten. Zwei Drittel rauschen also ungefiltert und unreguliert durch Apps und soziale Medien.“ Fremdregulierung kann hier also ein erster Schritt zur Selbstregulierung sein.
Dass es diesen Trend hinsichtlich einer Selbstregulierung gibt, wundert sie nicht. „Der Grad an Medienbildung ist unter Jugendlichen mittlerweile sehr hoch“, sagt sie. „Wir sprechen viel darüber und Jugendliche informieren sich selbst. Es ist ein Thema, das derzeit sehr präsent ist, und das bleibt natürlich nicht unbemerkt. Kinder können vielleicht noch keine rationalen Entscheidungen treffen, Jugendliche aber eben sehr wohl. Bei vielen löst das dann immerhin den Versuch aus, sich ein wenig einzuschränken, was Screentime angeht.“ Das ist aber eben alles andere als leicht: Apps ziehen einen immer wieder rein, das kennen wir letztlich auch von uns selbst.
Offlineräume schaffen
Kehrseite der Studie ist natürlich, dass sich rund 60 Prozent der befragten Jugendlichen gar nicht selbst regulieren. „Die müssen wir im Auge haben“, betont die Digitaltrainerin. „Dafür muss unsere Gesellschaft mehr Räume schaffen, in denen es auch offline oder ohne Smartphone funktioniert. Da können handyfreie Zonen oder gar handyfreie Schulen helfen.“ Die Wirkung dieser Räume ist nicht zu unterschätzen: Sie alle fördern das Bewusstsein, dass es ja auch mal ohne geht. Dass es nicht schlimm ist, das Smartphone mal zuhause zu lassen, weil meine Freunde ja auch keins dabei haben. Es wird ein Stück weit normaler, offline zu sein. „Das kann man natürlich auf Sportvereine, Clubs und alles mögliche andere ausweiten“, so Rath. „Natürlich hat das viel mit FOMO zu tun, aber je mehr Menschen mitmachen und je mehr Eltern mit gutem Beispiel vorangehen, desto normaler wird es, auch mal auf das Handy zu verzichten.“
Keine Überraschung: Natürlich sind da auch die Eltern als größte Vorbilder gefragt. „Wenn mich mein Kind morgens schon mit dem Handy in der Hand aus dem Schlafzimmer kommen sieht, darf es mich nicht wundern, wenn mein Kind das kopiert. Die Hälfte der Kinder dürfen ihr Smartphone mit ins Bett nehmen. Das halte ich auch für sehr bedenklich. Selbstverständlich ist ein Handy heute auch ein Arbeitsgerät, aber wenn Eltern ihr Handy für Arbeit, Recherche oder das Lesen von Nachrichten benutzen, sollten sie dies auch kommunizieren.“
Screentime ist nicht gleich Screentime
Bei aller Kritik, bei allen Diskussionen rund um das Verbot von Social Media für Minderjährige, sollte man eines nicht vergessen: Das hohe kreative Potential moderner Medien. Jugendliche bearbeiten Bilder, spielen mit KI herum oder laden eigene Videos hoch. Es gibt lehrreiche und bildende Inhalte, es gibt für jede und jeden eine Community. Deswegen sagt Monika Rath: „Screentime ist nicht gleich Screentime. Wenn ich eine App für Gestaltung nutze, ist das etwas anderes als ein stupides Video. Man sollte ganz genau darauf achten, wie die Kinder ihre Bildschirmzeit nutzen. Wenn es für etwas Kreatives oder Lehrreiches ist, dann dürfen sie meinetwegen auch mal etwas mehr Screentime haben. Sobald es Probleme gibt, Kinder von ihrem Handy wegzukriegen oder es immer wieder Diskussionen und Streitereien gibt, sollte man genauer hinschauen. Das sind durchaus Symptome einer Abhängigkeit.“
Digital Detox
Diese Symptome gibt es bei Erwachsenen ebenso. In Berlin hat vor wenigen Monaten der erste Offline-Club Deutschlands eröffnet. Menschen bezahlen hier freiwillig Eintritt, um mal drei Stunden ohne Handy am Tisch zu sitzen. Das sagt eine Menge über eine Gesellschaft, die Monika Rath als „Gefangene des Algorithmus“ bezeichnet. „Wir wollen diese schnellen, leichten Dopaminkicks, wollen immer informiert, up to date sein, um mitreden zu können. Und warum? Weil wir alles immer dabei haben. Auf unserem Smartphone. Das erklärt den Erfolg von sogenannten Dumbphones oder Lightphones, die gerade auf dem Vormarsch sind.“ Das sind Telefone ohne die meisten smarten Funktionen, Apps oder Gadgets. In den USA vermelden die Dumbphone-Betreiber verdoppelte Umsätze.
Wenn das alles nicht mehr hilft, dann muss es eben das berühmte Digital Detox sein. „Wir leben in einer Smartphone-Sucht, der Griff zum Handy ist längst zu Reflex geworden. Da hilft es schon, hin und wieder einen kurzen Entzug zu machen, um diese Muster aufzubrechen“, sagt Rath. „Diese Sucht löst biochemisch dasselbe aus wie der Konsum von Alkohol oder Nikotin. Es werden Glücksgefühle ausgeschüttet. Da kann eine gewisse Entwöhnung helfen. Dennoch muss man klar sagen: Digital Detox ist Luxus. Ein Privileg. Nicht jeder kann es sich erlauben, einfach offline zu gehen. Da ist noch viel mehr Verständnis vonnöten, auch von Arbeitgeberseite. Es ist einfach viel zu selbstverständlich geworden, immer und überall erreichbar zu sein. Nach Feierabend, am Wochenende, selbst im Urlaub.“ Wir haben es wie so oft also selbst in der Hand. Das Problem: Unser Smartphone eben auch.
Weiterführende Informationen
Weitere Links
www.digitaltraining.de
Sensible Medienerziehung für Kinder und Erwachsene
www.welt.de
Smartphone-Verzicht bei Teenagern in den USA
www.swr.de
Özdemir über ein Social-Media-Verbot