Lesen fördert, bildet und inspiriert – wie zeitgemäß sind die aktuellen Kinderbücher?

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Lesen fördert, bildet und inspiriert – wie zeitgemäß sind die aktuellen Kinderbücher?

Lesen fördert, bildet und inspiriert – wie zeitgemäß sind die aktuellen Kinderbücher?

Immer weniger junge Menschen lesen. Das hat weitreichende Folgen.

Am 23. April ist Welttag des Buches. Die Feier ist mehr als angemessen, das gedruckte Medium auch nach über 500 Jahren von ungebrochener Wichtigkeit, gerade in der frühkindlichen Bildung. Die meisten Kinderbücher zeigen aber immer noch veraltete Rollenbilder und mangelnde Diversität. Der Trend geht dennoch in die richtige Richtung.

Lesen bildet. Das ist ein alter Hut, aber deswegen nicht weniger wahr. Wer liest, kommt weiter, hat mehr Fantasie und Empathie, kann Zusammenhänge besser erkennen, Bezüge besser erfassen. Dennoch steckt das Buch seit Jahren in der Krise. Der Welttag des Buches am 23. April sollte deswegen mal wieder dafür genutzt werden, auf die Relevanz des ältesten Mediums nach der Sprache hinzuweisen. „Ein Raum ohne Bücher ist ein Körper ohne Seele“ wusste schließlich schon Cicero.

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    Immer weniger Kinder und Jugendliche lesen
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    Der Wert des Vorlesens
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    Lesen – aber richtig
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    Geschlechterrollen in Kinderbüchern
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    Was man tun kann

Immer weniger Kinder und Jugendliche lesen

Die Zahlen sind unschön. Zwar erscheinen in Deutschland jährlich rund 9000 neue Kinder- und Jugendbücher. Dennoch lesen immer weniger Kinder und Jugendliche. 2022 veröffentlichte Zahlen gehen davon aus, dass nur noch 32 Prozent der Jugendlichen regelmäßig ein Buch in gedruckter Form in die Hand nehmen – darunter weiterhin mehr Mädchen als Jungs. Zu diesem Ergebnis kommt die JIM-Studie. Ganze 18 Prozent gaben sogar an, nie zu lesen. Das kann Folgen haben: Weitere Studien haben einen direkten Zusammenhang zwischen Lesekompetenz und dem Erkennen von Fake News hergestellt. Mit anderen Worten: Wer liest, fällt seltener auf digitale Brandstifter herein.

Der Wert des Vorlesens

Vor dem Lesen lernen kommt das Vorlesen. Dabei Eltern, Familienmitglieder oder andere Erziehungsberechtigte gefragt: Wer schon Babys oder Kleinkindern vorliest, stellt frühzeitig die Weichen, dass aus den Kindern später selbst Leseratten werden. Doch auch hier macht sich reichlich Ernüchterung breit: Nur 61 Prozent der Ein- bis Achtjährigen in Deutschland bekommen in ihrer Familie regelmäßig vorgelesen und tauchen gemeinsam in wilde Abenteuer und lustige Geschichten ab, wie der Vorlesemonitor herausgefunden hat. Das sei eine kontinuierliche Abwärtsspirale: 2019 bekamen noch 68 Prozent der Kinder regelmäßig vorgelesen. Ganze 20 Prozent der Eltern gaben sogar an, ihren Kindern nie vorzulesen.

Wie verheerend das ist, bringt der Geschäftsführer Zeit Verlagsgruppe, Dr. Rainer Esser, auf den Punkt: „Vorlesen verbindet und bildet! Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wird, haben bessere Zukunftschancen. Sie lernen leichter, haben bessere Schulnoten und vor allem mehr Spaß am Lesen.“ Wem regelmäßig vorgelesen wird, der hat bessere Startchancen ins Leben. Der Wortschatz ist größer, das Wesen ist einfühlsamer, die schulischen Leistungen im Durchschnitt besser. Was man dagegen tun kann, weiß Christoph Biemann von der „Sendung mit der Maus“. „Am besten ist es, Kontinuität zu wahren. Viele Eltern hören auf, vorzulesen, sobald das Kind selber lesen kann. Das ist ein Fehler, denn das Vorlesen ist eine ganz fundamentale Sache. Auch älteren Kindern sollte man unbedingt vorlesen. Man kann sich dabei ja auch abschnittsweise gegenseitig vorlesen.“

Lesen – aber richtig

Lesen kommt heute in vielerlei Gestalt daher. Neben dem guten alten Buch gibt es E-Reader, Tablets oder natürlich das Lesen auf dem Smartphone. Aber lesen ist eben nicht gleich lesen: Wer viel digital, aber nur sehr wenig Bücher liest, hat einen merklich schlechteren Wortschatz. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) der TU Dortmund. Ein Viertel der befragten Schüler gab bei der Befragung an, täglich oder fast täglich außerhalb der Schule an digitalen Geräten zu lesen. Das hat Folgen: „Häufiges Lesen an digitalen Geräten weist einen negativen Zusammenhang mit dem Wortschatz der Kinder auf“, so der Bericht.

Der Erklärungsansatz lautet: Wer viel digital schmökert, liest überwiegend kurze News, Messages, Texte in Games oder Überschriften. Was dabei fehle, seien eben die längeren, aufeinander aufbauenden Textpassagen mit einem großen Wortschatz. Hier sieht Christoph Biemann die Eltern klar in der Vorbildrolle: „Wenn Mutter oder Vater lümmelnd mit dem Smartphone auf dem Sofa sitzen, können sie nicht erwarten, dass das Kind ein Buch zur Hand nimmt. Wenn das Kind aber sieht, dass seine Eltern auch gerne lesen, machen sie das schon eher nach.“

Geschlechterrollen in Kinderbüchern

Unsere Gesellschaft ist so pluralistisch, offen und divers wie noch nie. Aber wird diese Welt auch in Kinder- und Jugendbüchern angemessen reflektiert? Viele Studien und Untersuchungen kommen zumindest zu dem Ergebnis, dass immer noch überwiegend antiquierte Rollenbilder vermittelt werden und auch Themen wie Diversität und Inklusion stark ausbaufähig sind. Gerade Kinderbücher verlustieren sich besonders gern in stereotypen Geschlechterrollen: Die Mädchen ängstlich, die Jungs draufgängerisch. Und überhaupt: Eine Studie aus dem Jahr 2017 hat herausgefunden, dass die Heldinnen und Helden in den erfolgreichsten Bilderbüchern doppelt so oft männlich wie weiblich sind. Auch eine deutlich aktuellere Studie hat 247 Kinderbücher auf Geschlechterdarstellungen untersucht – mit interessanten Ergebnis. Allein die Beschreibungen der Figuren zeigt Unterschiede: Mädchen eher mit emotionalen Worten, Männer gern mit Bezügen aus der Welt der Werkzeuge und Mathematik.

Und das ist nur der Anfang: „Die aktuelle Kinderliteratur in Deutschland [...] spiegelt unsere pluralistischen Gesellschaften – zum Beispiel, dass 40 Prozent der eingeschulten Kinder in Deutschland Migrationsgeschichte tragen – nicht wider“, heißt es beim Goethe Institut. Deren Projektgruppe DRIN (Diversität, Repräsentation, Inklusion, Normkritik) will neue Standards für eine diversere Kinderliteratur in Europa setzen und zeigt die Lücken der Repräsentation auf. Insbesondere BAME-Figuren (Black Asian Minority Ethnic) treten nur in einem sehr begrenzten Rollenspektrum und allenfalls als Nebenfiguren in Erscheinung.

Ähnlich überholt ist das Bild der Familie: In gerade mal zwölf Prozent der 2019 erschienenen Bilderbücher kommen andere Familienformen vor als Mama, Papa, Kinder. Besser ist es in den Kinder- und Jugendromanen, wo wir auf 29 Prozent kommen – also den tatsächlichen Anteil anderer Familienformen. Nina Horn, Verlagsleiterin bei Oetinger, stimmt dezent optimistisch: Die Zahl der diversen Kinderbücher nimmt derzeit stark zu, „weil das Bewusstsein für Diversität wächst“.

Was man tun kann

Eltern können diese Probleme auf vielfältige Weise lösen. Veraltete Geschlechterrollen in Büchern können etwa in einer Diskussion mit dem Kind erörtert werden. „Warum spielt Anna eigentlich kein Fußball? Und warum trägt Finn nie pink?“ Auch denkbar ist das Ändern von kleinen Gender-Details in der Geschichte. Vielleicht geht die Mama dann einfach arbeiten und der Papa schmeißt den Haushalt? Zudem kann es hilfreich sein, gezielt mit Stereotypen zu brechen. „Wenn Mädchen nur Geschichten mit weiblichen Hauptfiguren hören und Jungen umgekehrt, verfestigen sich bestimmte Vorstellungen des eigenen Geschlechts umso mehr. Dabei könnte es zum Beispiel für Jungen wichtig sein zu sehen, dass auch Mädchen eine Hauptrolle spielen können.“

Stand: April 2023

Weiterführende Informationen

Über den Autor

Björn Springorum ist freier Journalist und Schriftsteller. Er schreibt u.a. für die Stuttgarter Zeitung, den Tagesspiegel und konzipiert Comic-Geschichten für “Die drei ???". Als Schriftsteller hat er bislang fünf Kinder- und Jugendbücher verfasst. Zuletzt erschienen: “Kinder des Windes" (2020), Thienemann Verlag. Er lebt in Stuttgart.