Computerspielsucht | Wie man sie definiert und woran man sie erkennt

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Computerspielsucht | Wie man sie definiert und woran man sie erkennt

Computerspielsucht – Wie man sie definiert und woran man sie erkennt

Junger Mann in dunklen Zimmer vor Bildschirm
Sucht Zwischen engagierten Computerspiel und Verhaltenssucht besteht ein wesentlicher Unterschied.

Warum kann unsere Tochter oder unser Sohn stundenlang begeistert vor dem PC sitzen, mit seinem "Avatar" Gegner bezwingen, Ausrüstungsgegenstände erbeuten und mit anderen Spielern übers Internet Strategien ausknobeln? Warum schafft sie oder er es nicht, sich eine halbe Stunde lang für die Mathe-Hausaufgaben zu konzentrieren? Wer diese Fragen zu beantworten versucht, nähert sich dem Kernproblem des hier beschriebenen Themas: Wo hört Begeisterung und Engagement für ein Hobby auf und wo fängt die Abhängigkeit an? 

Der vorliegende Artikel will den Zusammenhang von Computerspielen und Sucht erklären. Folgende Fragen werden beantwortet: Welche Auswirkungen kann schädlicher Computerspielgebrauch haben? Wie kann man diesen feststellen? Wie kann man schädlichen Computerspielgebrauch vorbeugen? Und wie kann man intervenieren, wenn er festgestellt wird?

    Inhalt

  1. 1
    Was ist Sucht? Wie definiert man Computerspielsucht?
  2. 2
    Engagiertes Spielen oder Verhaltenssucht: die Indikatoren
  3. 3
    Ursachen für Computerspielsucht beim Spielenden
  4. 4
    Ursachen für Computerspielsucht beim Spiel
  5. 5
    Auswirkungen von exzessivem Computerspiel
  6. 6
    Vorsicht bei Tests im Netz
  7. 7
    Prävention im Elternhaus
  8. 8
    Intervention / Handlungsmöglichkeiten
  9. 9
    Forschung

Was ist Sucht? Wie definiert man Computerspielsucht?

Gerade Erwachsene neigen schnell dazu, Heranwachsenden eine „Sucht“ zu unterstellen. Der lange Weg vom regelmäßigen Spielen hin zur Sucht, verlangt, dass Begriffe wie „Sucht“ und „Süchtige*r“ vorsichtig verwendet werden. Niemand würde seinem Kind, das gerade Schnupfen hat, sagen, dass es „Fieber im Endstadium“ hat. Erst der Experte – in diesem Fall der Psychologe – kann bestimmen, ob ein „suchtartiges Spielen“ vorliegt.

Der Weg hin zur suchtartigen Computerspielnutzung durchläuft fließend mehrere Phasen, die auch differenziert beschrieben werden können:

kein Spielen ➜ sporadisches Spielen ➜ regelmäßiges / engagiertes Spielen ➜ exzessives Spielen ➜ suchtartiges Spielen

Kinder und Jugendliche besonders gefährdet

Experten sind sich häufig einig, dass die Übergänge vom regelmäßigen Konsum, über exzessiven Gebrauch, bis Missbrauch bis hin zur Abhängigkeit fließend sind. Außerdem sind Kinder und Jugendliche besonders gefährdet, was auch mit den biologischen Entwicklungsschritten der Psyche und Hirnstruktur zu tun hat. Psychische Begleiterscheinungen wie Depressionen oder gar körperliche Beschwerden gehen mit der Entwicklung einer Sucht einher.

Wie bei Krankheiten gelten auch bei psychische Störungen einheitliche Kriterien, anhand derer ein Psychologe die Art der psychischen Störung bestimmt. Nur nach eindeutiger Bestimmung kann gegebenenfalls die Krankenkasse die Therapiekosten mittragen. Diese einheitlichen Kriterien wurden von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems" (kurz ICD) weltweit festgelegt. 

Computerspielsucht als Krankheitsbild ab 2018 offiziell anerkannt

Bis 2018 wurden weder Internet- noch Computerspielsucht im ICD-Katalog als eigenständige Krankheitsbilder aufgeführt. Folglich mussten Patienten die Kosten für Therapien größtenteils selbst übernehmen. Im neuen Katalog der Krankheiten (ICD-11) wird ab 2019 exzessives Computer- oder Videospielen als Gaming Disorder gelistet. Folgende drei Merkmale werden in diesem Katalog aufgeführt:

  1. Kontrollverlust beim Spielen (Häufigkeit, Dauer, Intensität, usw.)
  2. Spielen hat Vorrang über andere Lebensinteressen und Aktivitäten (Schule, Beruf, Familie, usw.)
  3. Fortgesetztes Spielen trotz negativer Folgen

Erst wenn dieses Verhalten über einen längeren Zeitraum von mindestens 12 Monaten gezeigt wird, kann die Diagnose „Gaming Disorder“ gestellt werden.

Der Drogenbericht 2022 nennt darüber hinaus weitere Merkmale als Hinweise auf eine Erkrankung:  

  • Dauernde Beschäftigung mit dem Spielen,
  • Toleranzentwicklung (das Bedürfnis immer mehr zu spielen),
  • Entzugserscheinungen in der suchtmittelfreien Phasen, wie Unruhe oder Gereiztheit,
  • Täuschungshandlungen, um Bezugspersonen über das wirkliche Ausmaß des Spielens im Unklaren zu halten,
  • dysfunktionale Emotionsregulation (das Suchtmittel scheint die einzige Möglichkeit zu sein, Entlastung bei negativen Gefühlen zu erhalten).

Engagiertes Spielen oder Verhaltenssucht: die Indikatoren

Weitläufig verbreitet ist die Ansicht, dass derjenige süchtig ist, der besonders viele Stunden mit einem Computerspiel verbringt oder anders ausgedrückt jemand der "exzessiv" spielt. Dabei ist die Nutzungszeit allein kein belastbares Kriterium für eine Sucht ist. Diese Einschätzung wird auch von Erfahrungen aus der Suchttherapie bestätigt: Fälle sind bekannt, in denen Patienten aufgrund elterlicher Interventionen nur zwei bis drei Stunden täglich spielten aber hochgradig abhängig waren. Andererseits spielen engagierte Jugendliche zu Hochzeiten mehr als 5 Stunden täglich, ohne das eine Sucht vorliegt. Grund dafür kann ein temporäres Engagement sein, weil das Spiel neu gekauft wurde oder weil der oder die Spieler*in als "Pro-Gamer" (professioneller Spieler) sich auf einen Wettbewerb vorbereitet. US-Forschende konnten nachweisen, dass es klare Unterschiede zwischen "engagiertem exzessiven Spielern" und "verhaltenssüchtigen exzessiven Spielern" gibt.

Folgende Kriterien treffen auf jemand zu der engagiert spielt:

  • Die oder dem Spielende*n verbringt immer mehr Zeit am Computer (Toleranzentwicklung).
  • Die oder dem Spielende*n muss immerzu an das Computerspielen denken, auch wenn sie oder er gerade etwas ganz anderes macht. Das Verlangen dominiert die Gedanken (Einengung der Gedanken). 
  • Das Computerspielen hat für die oder den Spielenden stimmungsaufhellende Funktion. Während der Aktion empfindet sie oder er Begeisterung und Spannung und kann ihre oder seine Sorgen für diese Weile vergessen. (Stimmungsregulation/Euphorie).

Folgende Kriterien treffen auf jemanden zu, der verhaltenssüchtig spielt:

  • Die oder der Spielende vernachlässigt über einen bestimmten Zeitraum zunehmend schützenswerte Lebensbereiche, wie Schule, Schlafen, Essen, Hygiene, Freundschaften, Familie (Einengung des Verhaltens).
  • Die oder der Spielende ist sich der negativen Folgen bewusst, hat evtl. Schuldgefühle, versucht die Dauer des Computerspielens einzuschränken, letztendlich aber ohne Erfolg (Kontrollverlust). 
  • Die oder der Spielende reagiert oft gereizt, unruhig oder aggressiv, wenn sie oder er nicht spielen kann (Entzugserscheinungen).
  • Die oder der Spielende erlebt einen Rückfall nach Zeiten der Einschränkung oder Abstinenz (Rückfallerscheinungen).

Als süchtig klassifizierte Spielende berichten auch, dass während des Spielens nicht mehr – wie anfänglich erlebt – ein "Flow-Erleben" (Zustand der völligen Vertiefung) eintritt. Als weiteren Effekt schilderten sie, dass sie lieber mit Online-Freunden Zeit verbringen als mit realen Freunden und dass ihr Computerspiel das Wichtigste im Leben sei.

Die Übergänge sind fließend

Die einleitend genannten Anzeichen für engagiertes Spiel können zwar als mögliche Vorboten zur Sucht interpretiert werden. Dies muss aber nicht zwingend der Fall sein. Auch durch die anfängliche Euphorie bei Beginn eines Spieles können dieselben Merkmale wie bei einer Sucht auftreten. 

Eltern oder andere Bezugspersonen sollten nicht einfach darauf warten, bis die Anzeichen einer Sucht vorliegen – oder eben nicht. Stattdessen sollten sie die oben beschriebenen Merkmale eines Vorstadiums zur Sucht (Toleranzentwicklung, Einengung der Gedanken, Stimmungsregulierung durch Spielen) identifizieren können. Wenn sich die Merkmale nach der Euphoriephase nicht normalisieren, gilt es zu intervenieren. Besonders aufmerksam sollten Eltern werden, wenn ihr Kind wiederholt das Computerspiel dazu missbraucht, um eigene negativen Gefühlszuständen positiv zu beeinflussen oder sich davon abzulenken. So konnte in Untersuchungen (Bericht "Merkmale pathologischer Computerspielnutzung im Kindes- und Jugendalter", S. 13f.) nachgewiesen werden, dass süchtige Spielende häufiger als normale Spielende zur Stimmungsverbesserung am Computer spielen.

Ursachen für Computerspielsucht beim Spielenden

Darüber hinaus existiert eine Reihe von Merkmalen in der Persönlichkeit und dem Umfeld des Spielenden, die das Risiko einer Sucht verstärken. Besonders anfällig sind Personen, die bereits ein psychische Erkrankung vorliegen haben, wie eine Depression, ADHS oder Impulskontrollstörungen. Aber auch Ängste, Versagen in der Schule oder fehlender Erfolg bei anderen Freizeitaktivitäten können das Risiko einer schädlichen Computerspielnutzung fördern. Weitere Faktoren (siehe Bericht "Neue Medien: Exzessiver Konsum und Abhängigkeit" 2012, S. 15 (PDF), die eine Sucht beim Spielenden begünstigen sind

  • hohe Sensibilität und fehlenden Problemlösungskompetenz in Stresssituationen,
  • soziale Ängstlichkeit/Introversion und daraus folgende Einsamkeit,
  • hohe Nervosität/Verletzlichkeit,
  • verminderte Gewissenhaftigkeit (Pünktlichkeit, Hausaufgaben),
  • fehlende Alternativen zu Compuer/Schule, in denen Herausforderungen gemeistert werden können,
  • fehlende Alternativen zur Bewältigung von Frustration,
  • oder wenn Selbstwert und soziale Zugehörigkeit stark durch den Computer definiert werden.

Neben den Risikofaktoren konnten folgende Schutzfaktoren identifiziert werden:

  • Positives Selbstwertgefühl
  • Selbstkontrolle (Emotionen und Aktivitäten unter Kontrolle haben)
  • Alternativen zu Computer/Schule in denen Kinder Herausforderungen meistern und dafür Anerkennung ernten können (Verein, Sport, …)
  • Soziale Unterstützung (Rückendeckung durch gleichaltrige Freunde oder fürsorgliche Familie)
  • Emotionale Kompetenz (Verhalten anderer richtig interpretieren und darauf angemessen reagieren können)

Ursachen für Computerspielsucht beim Spiel

Bei jungen Computerspielenden nachgefragt, kommt oft heraus, dass für sie das Spiel mehr als nur ein Spiel ist. Gerade solche Spiele, die grenzenlose Möglichkeiten der Spielführung bieten, weisen ein besonders hohes Suchtpotenzial auf. Zu den Kandidaten zählen das Survival-Spiele Fortnite: Battle Royal, das Action-Adventure Grand Theft Auto oder das Online-Rollenspiel World of Warcraft. 

Alle drei Spiele ermöglichen den Spielenden unbegrenzte Varianten der Spieleführung. Weitere gemeinsame Nenner sind ein hohes Maß an Interaktion zwischen den Spieler*innen (durch Chats und Foren) sowie die unmittelbare Wertschätzung in Form von Belohnungen (Spielgeld, Ausrüstung, Verbesserung des Avatars). Besonders raffiniert an "World of Warcraft" ist, dass diese Belohnungen nach einem Zufallsprinzip vergeben werden. Diese Kombination fördert das Flow-Erlebnis des Spielenden: Sie oder er kann in das Spiel eintauchen und dabei äußere Begebenheiten, wie Essen, Familie oder Tageszeiten, zeitweise ausblenden und schlimmstenfalls langfristig vernachlässigen. 

Weitere Faktoren eines Spiels die das Suchtpotential steigern sind

  • die hohe Spielbindung durch eine Monatsgebühr (bei World of Warcraft),
  • die ständige Verfügbarkeit (generell bei Online-Spielen),
  • Pflege eines zweiten Ichs (Avatar), das im Spiel weiter entwickelt wird,
  • keine Möglichkeit, dass Spiel zu pausieren (bei World of Warcraft, bei Minecraft im Multiplayer-Modus),
  • das steigende soziale Prestige sowie vertiefte soziale Bindungen, die sich durch den Aufstieg im Spiel entwickeln (World of Warcraft, Minecraft), 
  • ein starker Gruppendruck (Mitspielende sind auf zuverlässiges Mitspielen angewiesen) woraus Verpflichtungen und Versäumnisängste hervorgehen.

Jugendliche erfahren durch das Spiel eine Form der Selbstwirksamkeit, Wertschätzung und sozialer Unterstützung, die sie im realen Leben in solchem Ausmaß häufig nicht vorfinden. Dies steigert wiederum das suchtgefährdende Potenzial der Computerspiele.

Auswirkungen von exzessivem Computerspiel

Jugendliche die exzessiv in der Computerspielwelt "abtauchen", befinden sich in einem Teufelskreis. Im Computerspiel kommt es zur Belohnung, der Jugendliche bekommt Anerkennung im Spiel und reguliert seine Emotionen. Dies steigert das Bedürfnis nach dem Computerspiel und der Jugendliche spielt immer länger. Das überzogene Computerspielen wird zum Konfliktherd im sozialen Umfeld des Betroffenen. Eltern, Lehrer, Mitschüler reagieren negativ auf den Rückzug des Jugendlichen. Dies erhöht erneut das Stress-Erleben des Jugendlichen. 

Die Literatur nennt bei suchtartiger Computerspielnutzung außerdem folgenden Begleitsymptome: Depression, Hyperaktivität-Aufmerksamkeitsdefizit (ADHS), soziale Phobie sowie Feindseligkeit bei männlichen Jugendlichen. Studien ergaben, dass Spielende, die von den genannten Störungen betroffen waren und ihr Computerspiel reduzierten, deutlich bessere Heilungschancen nachweisen konnten. Zu den gesundheitlichen Begleiterscheinungen der Sucht gehören

  • muskuläre und andere körperliche Überanstrengungen (Gillepsi, 2002)
  • ungesunde Ernährungsweise in Verbindung mit hohem Medienkonsum (Settertobulte, 2002)
  • Auslöser für epileptische Anfälle (Bureau, Hirsch & Vigevano, 2004)
  • im Extremfall: Thrombose durch tagelanges Sitzen (Lee, 2004)
  • Ermattung, Kopfschmerz durch Schlafmangel; Schulterblattverschiebung infolge der Fehlbelastung des Skelettes und der Muskulatur (Tazawa, Okada, 2001)
  • Zusammenhang zwischen Schlafmangel und Übergewicht (Knutsen, 2005)
  • gestörtes Essverhalten (Van den Bulck, Eggermont, 2006) 

(siehe Präsentation "Verhaltenssüchte: Phänomenologie und klinisches Erscheinungsbild am Beispiel der Computerspielsucht" von Klaus Wölfling, S. 18)

Außerdem wird in Fachkreisen häufig thematisiert, ob der exzessive Computerspielgebrauch aggressiv macht. Dieser Zusammenhang wurde bislang wissenschaftlich nicht eindeutig nachgewiesen. Dennoch kommt es beim Computerspielentzug von insbesondere jüngeren Patienten öfter zu aggressiven Verhaltensweisen.

Vorsicht bei Tests im Netz

Im Internet kursiert eine Reihe von Tests, mit denen Spielende oder Angehörige von Spielenden überprüfen können, ob eine Computerspielsucht vorliegt. Dabei wird unter anderem abgefragt, ob die Spielezeiten immer länger werden, ob die Abstinenz zu Unruhe oder Gereiztheit führt, oder ob das Spielen bereits andere Lebensbereiche negativ beeinflusst hat. Wir haben stellvertretend dafür vier Seiten ausgesucht:

Psychotherapiepraxis.at: Test
Stangl-Taller.at: Internetsucht-Test

Die Forschung zeigt, dass solche Tests in der Praxis sehr unzuverlässig sind. Dies spiegelt sich in den drastischen Unterschieden zwischen den Einschätzungen der Eltern und der Kinder wider. Dennoch können solche Fragebögen als Orientierungshilfe für Eltern dienen und evtl. den Jugendlichen eine Motivationshilfe bieten, das Computerspielen zu reduzieren. 

Quantitative bzw. zeitliche Fragestellungen eignen sich weniger dazu, eine Sucht aufzuspüren. Die Frage nach der Qualität des Computerspiels liefert hingegen wertvolle Hinweise auf eine Sucht. Eine Fragestellung zur Qualität kann also lauten: Welche Funktion erfüllt das Computerspielen bei meinem Kind? Welche Stärken bringt mein Kind bereits mit und welche Schwächen versucht es durch das Computerspiel zu kompensieren?

Eine weitere zentrale Frage zur Feststellung einer Suchtgefährdung ist, ob wichtige Lebensbereiche durch die PC-Nutzung vernachlässigt werden. Dazu gehören der Schulbesuch, Hausaufgaben, Schlafen, Essen, alternative Hobbies, Kontakt zu Eltern, Geschwistern, Gleichaltrigen, etc.

Prävention im Elternhaus

Präventionsmöglichkeiten sind auf dem Gebiet der Medien noch weitgehend unerforscht. Bislang konnte nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden, welche Präventionsstrategien sich bewährt haben. Aus Erfahrungen von Jugendpsycholog*innen und Medienpädagog*innen lassen sich aber eine Reihe von Schlussfolgerungen ziehen, wie Prävention zielführend aussehen kann. 

Abhängigkeiten lassen sich dann erfolgreich verhindern, wenn Kinder und Jugendliche langfristig starke Persönlichkeiten entwickeln. Dazu muss das Kind in gesundem Maße Lebenskompetenzen und Schutzfaktoren heranbilden. Zu den zentralen Kompetenzen gehören

  • stabile Beziehungen im realen Umfeld aufbauen können,
  • Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit erleben können,
  • mit Stress angemessen umgehen können, 
  • Problemlösefähigkeit, sowie
  • Strategien zur Emotionsregulation.

Die Stärkung dieser "Resistenzfähigkeit" erlernt sich am Besten im wahren Leben durch menschliche Begegnungen. Laut Paula Bleckmann tun Eltern deswegen gut daran, ihre Kinder erst in späten Kindheitsjahren mit dem Computer Erfahrungen machen zu lassen. Dem Ratschlag liegt eine Studie von 2006 zugrunde, die den Fernsehkonsum von Null- bis Vierjährigen mit ihrem Protestverhalten beim Ausschalten im höheren Alter vergleicht. Dabei kam heraus, dass Kinder, die in den ersten vier Jahren mehr Fernsehen schauten als andere Sechsjährige, häufiger beim Ausschalten protestierten. Sie hatten demnach nicht gelernt, ihre Emotionen und Aktivitäten dem Alter angemessen zu kontrollieren.

Eltern sind gerade in frühem Kindesalter für die eben genannte "Resistenzfähigkeit" das wichtigste Vorbild für ihre Kinder. Deswegen sollten sie ihre eigene "Resistenzfähigkeit" sowie ihren eigenen Medienkonsum kritisch reflektieren. Dazu helfen folgende Fragestellungen:

  • Wie stark beeinflussen äußere und innere Faktoren meine eigene Zufriedenheit?
  • Wie fühle ich mich vor und nach dem Medienkonsum (TV-Serie, Facebook, ..)?
  • Wie schwer fällt es mir abzuschalten oder ein Gerät wegzulegen?

Der Erziehungsstil der Eltern hat maßgeblichen Einfluss auf das spätere Medienverhalten der Kinder. Deswegen gilt es immer wieder das eigene Verhalten zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Wie weit wird die soziale und kreative Kompetenz meines Kindes gefördert? Wie weit biete ich meinem Kind gemeinsame Unternehmungen und alternative Freizeitaktivitäten an, in denen es Abenteuer, Erfolge und Erholung erleben kann?

Eltern sollten sich aktiv mit der Lebenswelt ihrer Kinder auseinandersetzen. Niemand verlangt, dass sie zu World of Warcraft-Experten werden. Zu wissen, welchen Reiz ein solches Spiel ausmacht und wie sich ein Spiel grundlegend aufbaut, hilft dabei, die Begeisterung ihrer Kinder nachzuvollziehen. Die Nähe zu Kind und Spiel macht es dann wiederum einfacher, einen sinnvollen Umgang damit einzufordern. Generell sollte der Familienalltag von einem respektvollen Umgang sowie Wertschätzung geprägt sein. Dies stärkt das Selbstvertrauen der Kinder und macht sie weniger anfällig für Gefahren.

Eltern sollten auch die Freunde ihrer Kinder im Blick haben. Mitunter spielen Kinder die Spiele, die zu Hause verboten sind, unbeaufsichtigt bei Freunden. Suchen Sie also das Gespräch mit anderen Eltern und stimmen Sie mit ihnen ab, wie Sie mit Altersempfehlungen und ungeeigneten Inhalten umgehen wollen. Weitere Anregungen für den Umgang mit Computerspielen in der Familie finden Sie in unserem Artikel "Spielekonsolen".

Intervention / Handlungsmöglichkeiten

Falls die Anzeichen für ein suchtartiges Verhalten des Kindes sprechen, sollte unmittelbar professionelle Hilfe aufgesucht werden. Beratungsstellen mit Schwerpunkt "Medien" können Ihnen weiterhelfen.

Beratungsstellen & psychiatrische Angebote

eva-Stuttgart
Baden-Württembergischer Landesverband für Prävention und Rehabilitation
Drogenhilfe Ulm/Alb-Donau e.V.
Therapieverbund Ludwigsmühle

Eltern haben technische Möglichkeiten, das Spielen zu unterbinden. Dazu gehört das Installieren eines Routers mit Kindersicherung oder das Abbestellen der Internetverbindung. Allerdings: Kinder können irgendwann die Sperren umgehen oder bei Freunden unbeaufsichtigt weiterspielen. Das Problem wird sich in Zukunft eher noch verstärken, da mittlerweile jedes Smartphone internetfähig ist und so jedes Spiel unabhängig vom heimischen Internet spielbar ist. 

Eltern sollten ihren Kindern daher Alternativen für eine sinnstiftende Zeitnutzung anbieten. Ein Zeitplan, der die Schul- und Freizeit wöchentlich regelt, kann entlastend wirken, da er den Leidensdruck des Kindes in Motivation verwandeln kann. Wenn aber die Schwelle vom engagierten zum suchtartigen Spielen bereits massiv überschritten wurde, bringt ein stufenweiser kontrollierter Entzug möglicherweise nicht mehr den gewünschten Erfolg. Welches Verhalten sinnvoll ist, können Ihnen die Suchtberater*innen sagen, ggf. muss der Spielenden-Account gelöscht werden, um Rückfälle zu vermeiden. 

Über den Autor

Christian Reinhold arbeitete über 10 Jahren als Redakteur der Initiative Kindermedienland.