Pressemitteilung

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Pressemitteilung

Lakaien oder Könige? Von der Notwendigkeit einer Ethik der Künstlichen Intelligenz

Werden wir künftig die Lakaien digitaler Technologien sein oder behalten wir als Königinnen und Könige die Entscheidungshoheit in der Hand?
29.05.2018

Derzeit entwickeln sich die Fähigkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) in ganz verschiedenen Bereichen so schnell, dass wir als Gesellschaft die Konsequenzen bisher kaum überschauen können. Werden diese Intelligenzen irgendwann bestimmend für unsere gesellschaftlichen Prozesse? Werden sie gar zu Königen? Wie ist es, wenn KI Entscheidungen trifft, die unser Leben beeinflussen, sei es im Verkehr, in der Wirtschaft, in der Bildung, in der Rechtsprechung oder gar in Beziehungen? Einige Antworten dazu gab Aytekin Celik, Dozent an der DHBW Stuttgart und LMZ-Referent zu Medienthemen, vor den rund 150 Besucherinnen und Besuchern des Medienkompetenztages in Pforzheim am 17. Mai 2018.

Mit den ersten Rechnern und PCs kamen sozusagen „dumme Maschinen“ in Büros, sie konnten nur Befehle abarbeiten. „Heute haben wir Maschinen, die autonom agieren. Man muss ihnen nur die Regeln beibringen, dann können sie selbstständig agieren“, so Aytekin Celik. Und während früher die Technologien eher unqualifizierte Arbeitskräfte ersetzten, werden die neuen Technologien auch typische Mittelstandsberufe treffen. Als Beispiele nannte Celik die Justiz, das Transportwesen, Versicherungen und Banken oder auch die ersten Sex-Roboter (alle mit weiblichem Aussehen!), die in Bordellen in Deutschland und Barcelona im Einsatz sind.

„Einer der häufigsten Berufe in Amerika ist Truck-Fahrer. Sie gehören mit ihren Einkommen eindeutig zum Mittelstand. Wenn künftig nur noch mit Sensoren ausgestattete LKWs die Transporte selbstfahrend übernehmen, kann man sich vorstellen, was das für diesen Teil des Mittelstandes bedeutet“, erläutert Aytekin Celik. Ähnlich sieht es bei Vertragsabschlüssen bei Versicherungen oder Banken oder bei Gerichtsprozessen aus. Vieles davon lässt sich von Künstlicher Intelligenz, von lernenden Algorithmen abarbeiten. „Das hätte durchaus Vorteile. Zum Beispiel könnte eine KI die tausenden unbearbeiteten Asylanträge abarbeiten, und dies – bei entsprechender Programmierung – vorurteilsfrei“.

Herausforderung KI

Es gibt zahlreiche Punkte, bei denen uns Künstliche Intelligenz gesellschaftlich, wirtschaftlich, politisch und persönlich herausfordert. Einer der wesentlichen Punkte ist das Vertrauen. „Wir müssen den Maschinen vertrauen können“, so Celik. „Da soll nichts programmiert sein, was uns schaden kann und Diskriminierung sollte ausgeschlossen werden“. Celik zitierte dabei die Robotergesetze, die Isaac Asimov bereits 1942 in einer Geschichte formulierte (vgl. Wikipedia):

  1. Ein Roboter darf kein menschliches Wesen (wissentlich) verletzen oder durch Untätigkeit (wissentlich) zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird. 
  2. Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen – es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren.
  3. Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert.

Doch wie verträgt sich das etwa mit Gesichtserkennungs-Software, die eine algorithmische Profilerstellung erlaubt, was wiederum Rückschlüsse auf zum Beispiel Homosexualität erlaubt. Egal? Mitnichten. In vielen arabischen Ländern steht auf Homosexualität die Todesstrafe, in Russland ist Propaganda für Homosexualität verboten. Mit einer solchen Software kann also die Gesellschaft kontrolliert und Verhalten gesteuert werden.

Eine zweite wichtige Frage lautet: Was ist (noch) echt, wie steht es mit der Validität dessen, was wir sehen und hören? Adobe hat laut Aytekin Celik eine Stimm-Erkennungs-Software entwickelt. Wer damit eine etwa 20 minütige Aufnahme einer Person macht, kann mit dieser Aufnahme diese Person später alles sagen lassen, was ihm beliebt. „Wir müssen also lernen, dass wir auch das, was wir als Stimme von jemandem hören, nicht einfach glauben können, sondern dass wir stets fragen sollten: Kann das sein, dass die Person so etwas gesagt hat?“

Der Datenschutz ist eine weitere Herausforderung, die KI mit sich bringt. Das zeigen schon die oben genannten Beispiele. Was darf mit Fotos oder Tonaufnahmen von mir gemacht werden? Wo landen die Daten, wie erfahre ich von Speicherung und Verarbeitung?

Schließlich stellen sich auch sehr persönliche und philosophische Fragen nach der menschlichen Identität. Was macht uns als Menschen noch aus? Und auch: Wenn Maschinen zahlreiche Tätigkeiten übernehmen, was machen wir dann mit unserer frei gewordenen Zeit?

Was können wir tun?

Eine der wesentlichen, allgemein anerkannten Voraussetzungen, dass wir die Herausforderungen meistern, ist eine solide, breit angelegte Bildung für alle. Henry Jenkins, Director of the Comparative Media Studies Program at the Massachusetts Institute of Technology (MIT) benannte schon vor über einem Jahrzehnt elf Kernkompetenzen der Medienpartizipation, die für die Teilhabe an einer volldigitalisierten Gesellschaft und für ein gelingendes Leben erforderlich sind. Jenkins nannte folgende Punkte (Quelle):

  • experimentelles Spiel
  • Spiel mit den Identitäten
  • Modellbildung und Simulation
  • Wiederverwendung von Inhalten
  • adaptives Multitasking
  • verteilte Wahrnehmung
  • kollektive Intelligenz
  • Bewertung von Medieninhalten
  • transmediale Navigation
  • Informationsvernetzung
  • Umgang mit alternativen Normen

    Aytekin Celik forderte darüber hinaus eine Stärkung der Bürgerrechte gerade im Internet und mehr Transparenz – etwa über open source bzw. open algorithm. „Wir müssen nachschauen können: Was machen die Maschinen wirklich, wie sind sie programmiert und wofür? Dafür brauchen wir Code-Lesefähigkeit und deshalb halte ich mehr Mathekompetenzen für unerlässlich“.

    Es sollte eine Ethik für die Technologien entwickelt werden. „Jede Firma, die KI produziert, sollte auch eine Ethikkommission installieren müssen“, so Celik. Und es brauche eine „digitale Mündigkeit“, die durch die oben erwähnte Ausbildung von Kernkompetenzen entwickelt werden kann.

    Die Digitalisierung erfordert auch neue Regulierungsinstrumentarien. Dazu betonte Celik: „Ich möchte nicht, dass eine Firma wie Alphabet die Gesellschaft bestimmt, eine Firma, die jetzt versucht, das ganze Alphabet mit digitalen Geschäften zu füllen. G steht für Google, N für Nest (Smart Home-Anwendungen), C für Calico (Biotechnologieunternehmen, das Methoden gegen die menschliche Alterung entwickelt) und so weiter“.

    Der Medienkompetenztag in Pforzheim, der vom Medienzentrum Pforzheim-Enzkreis organisiert war und sich vorwiegend an Lehrkräfte und Lehreranwärter richtete, bot ein vielfältiges Programm rund um digitale Technologien und Medien. Allein 15 Workshops beschäftigten sich unter anderem mit dem Einsatz von Comics im Unterricht, mit kollaborativem Arbeiten mit iPads, mit Programmieren mit Calliope, mit Trickfilmen, Hörspielen, mit OER, EDV-Ausstattung an Schulen und Instagram, Snapchat & Co. Die Vorträge werden demnächst auf der Seite des Medienzentrums Pforzheim-Enzkreis dokumentiert.