Shein |Warum die Kreuzung aus Fast-Fashion und TikTok ein Albtraum für Umwelt und Menschenrechte ist

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Shein |Warum die Kreuzung aus Fast-Fashion und TikTok ein Albtraum für Umwelt und Menschenrechte ist

Shein - warum die Kreuzung aus Fast-Fashion und TikTok ein Albtraum für Umwelt und Menschenrechte ist

Konsum-Kompetenz Weshalb Konsumkritik und Medienkompetenz zusammengehören, erklärt dieser Artikel.

Billiglöhne, geklaute Designs, intransparente Lieferketten und subtile Influencer-Werbung: Mit diesem Mix schaffte es das chinesische Mode-Label Shein in nur wenigen Jahren H&M oder Zalando zu überholen. Weshalb Konsumkritik und Medienkompetenz zusammengehören, erklärt dieser Artikel.

Shein polarisiert! Die Suche auf YouTube oder sozialen Medien nach dem Mode-Label bringt zwei Extreme hervor: Konsumentinnen, die von den günstigen und trendigen Outfits schwärmen oder Berichterstattungen, bei denen Sheins Geschäftspolitik aufs Schärfste verurteilt wird.

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    Doch was hat das mit Medienkompetenz zu tun?
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    Warum Shein für Heranwachsende unausweichlich scheint?
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    Beeinflussen soziale Netzwerke die Kaufentscheidungen von Jugendlichen?
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    Warum Shein für Umwelt und Gesellschaft schädlich ist
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    Argumente und Strategien gegen Fast- und Ultra-Fast-Fashion

Doch was hat das mit Medienkompetenz zu tun?

Medienkompetenz kann im weiten Sinn auch als Informations-, Konsum- und als Gesellschaftskompetenz verstanden werden. Medienkompetenz soll indirekt beantworten: Wie gehe ich souverän mit Medien aber auch meinem Konsum und meiner Umwelt um? Bereits 2013 forderte die Verbraucherzentrale deshalb „Verbraucherbildung verpflichtend an allen Schulen“, wobei „Medien und Information“ zu einem der vier Hauptpfeiler der Verbraucherbildung gezählt wird. Dass Medienkonsum und Konsumverhalten sich gegenseitig stark beeinflussen, sollten Erziehende, Eltern und Lehrkräfte bei Medienthemen berücksichtigen.

Warum Shein für Heranwachsende unausweichlich scheint?

Für Heranwachsende löst die Produktwelt vom chinesischen Modegiganten zwei Probleme auf einmal: die Suche nach sozialer Anerkennung und knappe finanzielle Ressourcen. Zwar stehen deutschen Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren bereits monatlich fast 200 Euro zur Verfügung. Doch bleibt abzüglich Ausgaben für Fortbewegung, Kommunikation und Ernährung kaum ein Betrag übrig, der für den Kauf nachhaltiger Mode – die locker das fünffache von Fast-Fashion kosten kann - ausreicht. Sheins Preise ermöglichen, dass für 200 Euro eine Garderobe aus über 25 Teilen zusammengestellt werden kann.

Zeig mir dein Outfit und ich sag dir wer du bist: sozialer Druck unter Heranwachsenden  

Bereits bevor Instagram, WhatsApp und TikTok das soziale Leben von Jugendlichen dominierte, riskierten Heranwachsende gemobbt zu werden, wenn sie nicht die richtigen Markenklamotten oder die richtigen Schuhe trugen. Bereits ab der Grundschule zeigen Kinder mithilfe ihrer Kleidung und ihrem Smartphone, dass sie zu einer bestimmten Gruppe dazuzählen wollen – im Idealfall zur Gruppe der erfolgreichen und wirtschaftlich aufstrebenden Familien.

Der Teufelskreis aus Gruppenzwang und Ausgrenzung wurde von Instagram, TikTok und Co noch verstärkt: Das Zur-Schau-Stellen der Outfits beschränkt sich nicht auf den Pausenhof, sondern findet rund um die Uhr in den Profilen und Live-Videos der Heranwachsenden statt. Deswegen wächst der Wunsch nach Abwechslung und ständig neuen Kleidungsstücken.

Outfit oft the Day – Der Zwang zu ständig neuer Kleidung

Regelmäßig oder sogar täglich mit einem neuen Outfit aus dem Haus zu gehen oder sich damit auf den sozialen Medien zu präsentieren: das ist der neue Qualitätsstandard bei Jugendlichen. Dazu entstand unter dem Instagram-Hashtag #ootd eine ganze „Outfit of the Day“-Bewegung. In Großbritannien ergab bereits 2018 eine Studie, dass einer von zehn Erwachsenen, Kleidung nur deshalb online bestellt, um von dem Look ein Foto auf Instagram zu veröffentlichen und die Sachen danach wieder zurückzuschicken. Genau diesen Zwang bedient Shein perfekt, in dem es pro Tag mehr als tausend neue Produkte in sein Sortiment aufnimmt, um tagesaktuell neue Trends anzubieten. Diese Flut an neuen Produkten ist noch deutlich höher als bei Fast Fashion- oder Ultra-Fast-Fashion-Marken, wie Zara oder H&M, die bereits seit Jahren dafür kritisiert wurden.

Ist die junge Generation „Z“ nicht deutlich nachhaltiger orientiert?

Zwar hat das Thema „Klimawandel“ und „Nachhaltigkeit“ deutlich an Bedeutung gewonnen. Die reale Bereitschaft dafür, was zu tun, liegt aber bei jungen Erwachsenen deutlich tiefer: Gerade mal 40 Prozent können sich vorstellen, gebrauchte, statt neue Produkte zu kaufen. Und bei gerade mal 10 Prozent der Jugendlichen sind Herstellungsbedingungen und Textilsiegel ein Kriterium für die Modeauswahl – der Mehrheit sind hauptsächlich der Preis und das Design wichtig.

Denn hinter dem Run auf Fast-Fashion steckt nicht nur ein Modetrend oder viel böses Marketing – auch die wachsende soziale Schere verstärkt den Trend. Viele junge Menschen und Familien aus sozial schwachen Verhältnissen können und wollen sich teure oder nachhaltige Marken nicht leisten.

Beeinflussen soziale Netzwerke die Kaufentscheidungen von Jugendlichen?

Influencer-Armee sorgt für den Hype

Ein weiterer Grund für den Erfolg von Shein ist der hohe Einfluss von Influencerinnen und Influencern auf die Heranwachsenden. Wie kein anderes Modeunternehmen versteht es Shein in sozialen Medien – allen voran auf TikTok – präsent zu sein. Verglichen mit anderen Modemarken erzielt Shein auf YouTube und TikTok die höchste Reichweite. Der Hashtag „sheinhaul“ erreichte auf TikTok fast 4 Milliarden Aufrufe.

Verantwortlich dafür ist eine Armee an Influencerinnen und Influencern, die mit kostenlosen Give-Aways (Gratis-Geschenken) von Shein geködert werden. Diese können wiederum an einem Affiliate-Programm (Partner-Programm) teilnehmen und werden mit 10 bis 20 Prozent am Umsatz beteiligt, wenn ihre Followerinnen oder Follower über einen Affiliate-Link bei Shein bestellen. In sogenannten Haul-Videos (was sich mit „Beute-Videos“ übersetzen lässt) geben vor allem junge Frauen damit an, wieviel sie für wenig Geld bei Shein bestellt haben. Eigennützig, weil gewinnbeteiligt, halten sie unzählige Warenpakete und Kleidungsstücke der chinesischen Marke in die Kamera.

Aber auch weniger bekannte Userinnen und User tragen auf Instagram- und TikTok zum Erfolg der Marke bei: Wenn sie sich auf TikTok und Instagram darüber austauschen, auf welcher Shopping-Plattform der gleiche Trend-Artikel günstiger erhältlich ist oder wo man günstig gefakte Versionen bekannter Modelabel herbekommt. Diese Jagd nach Schnäppchen und Trends bedient Shein mit seinem Angebot.

Shopping-App mit Sucht-Charakter

Zu Sheins Marketing Kampagne zählt auch die eigene Shopping-App, die in den App-Stores bereits ab 12 Jahren freigegeben ist und auch auf die Zielgruppe der Jugendlichen zugeschnitten wurde. In der App werden Kundinnen regelmäßig mit Rabatt-Codes bombardiert, mit denen sie günstige Ware noch günstiger bekommen. Darüber hinaus können die Userinnen und User in glückspielartigen Mini-Games Belohnungen gewinnen, die zum Shoppen animieren sollen.

Warum Shein für Umwelt und Gesellschaft schädlich ist

Ein zweiteiliger kritischer Beitrag vom öffentlich-rechtlichen funk-Kanal „Simplicissimus“ geht mit dem Modegiganten hart ins Gericht (Teil 1, Teil 2). Folgende Kritik würde zu einer sofortigen Schließung oder Gerichtsverfahren führen – sollte ein in Deutschland ansässiges Unternehmen so agieren:

Greenwashing

  • leere Umwelt- und Nachhaltigkeitsversprechen
  • keine realen Beweise, wie Zertifizierung der Zulieferer oder über den Einsatz umweltfreundlicher Materialien
  • von den 100.000 Artikeln im Shop gerade mal 0,2 Prozent aus recyclebaren Materialien
  • Schwindel mit Zertifikaten, wie dem SA8000-Standard

Arbeitsbedingungen

  • Arbeitskräfte bei den Shein-Zulieferern arbeiten in 24-Stunden-Schichten „im Schnitt über 75 Arbeitsstunden pro Woche.“
  • pro Monat nur ein Tag frei
  • meist ohne Arbeitsvertrag, ohne Sozialversicherung oder Unfallschutz
  • selten ein garantierter Mindestlohn

Umweltschädliche Materialien

Intransparente Lieferketten

  • Subunternehmer beauftragen wiederum kleinere Subunternehmer, die ohne jegliche Garantien und Arbeitsbestimmungen produzieren
  • Garne und Stoffe stammen aus unbekannten Produktionsgebieten
  • China wurde bereits seit mehreren Jahren dafür kritisiert, dass Minderheiten sowie Insassen von Arbeitslagern bei der Wollernte oder der Textilproduktion eingesetzt werden.

Aggressive Preispolitik

Wenn Shein ein Oberteil für 5 Euro anbietet, der Versand aber kostenlos ist, dann lässt sich schnell errechnen, was unter dem Strich noch übrigbleibt: so gut wie nichts! Zieht man vom Verkaufspreis abzüglich Steuern, Versand und Materialkosten noch Arbeitslöhne und Werbekosten ab, dann merkt man, dass etwas nicht stimmt: Es hat den Eindruck, dass Shein mit günstigen Artikeln bewusst Verluste in Kauf nimmt. Wohl deshalb, weil es beabsichtigt, langfristig einen ganzen Markt für eine ganze Generation zu dominieren. Heranwachsende mit geringen finanziellen Mitteln sollen den Wunsch nach kostengünstiger Kleidung stets mit Shein assoziieren.

Shein klaut Designs und missbraucht religiöse und politische Symbole

Nicht nur kleine Independent-Designer haben bereits gegen Shein geklagt. Auch Dr. Martens oder Ralph Lauren legten gegen Shein rechtliche Schritte ein, da Marken- und Designmuster abgekupfert wurden. Da sich diese großen Unternehmen hinter verschlossenen Türen mit Shein außergerichtlich geeinigt haben, wurde darüber selten berichtet. Deutlich lautere Töne schlugen kleine Independent-Designer an, da Shein ihre eigenen Modekreationen ungefragt nachproduziert hatte. Für einen Skandal – der als PR-Coup bewertet werden darf – sorgte Shein, als es Ohrenanhänger im Hakenkreuz-Design und Gebetsteppiche als Deko verkaufte.

Wegwerf-Klamotten

Die Qualität von Shein-Klamotten lässt zu wünschen übrig. Kritische Influencer berichten von stark nach Chemie riechenden Klamotten, die bereits nach kurzer Nutzungsdauer auseinanderfallen. Kein Wunder bei den Preisen! Leider gewöhnen sich vor allem junge Verbraucherinnen und Verbraucher an die Idee, dass Kleidungsstücke Wegwerf-Gegenstände sind.

Wenn Kleidungsstücke aus demselben Material je nach Hersteller wie bei einem Top zwischen 5 (bei Shein) und 120 Euro (bei einem nachhaltigen Label) kosten, wird eine ganze Produktgattung entwertet. Der Gang zum nächsten Altkleider-Container „scheint“ so vorprogrammiert. Bedauerlicherweise ist das Altkleider-System bereits völlig überfordert. Die meisten weggeworfenen Kleidungsstücke werden geschreddert oder landen in Dritte-Welt-Ländern, wo sie ein Umweltproblem darstellen.

Shein ist keine (Sh-)Eintagsfliege

Shein hat sich hinter Amazon zur zweitgrößten Fashion-Webseite weltweit hochgearbeitet und ist mittlerweile 47 Milliarden Dollar wert. Das entspricht zusammengerechnet dem Wert von Zalando und H&M. Die Shein-App wurde, Stand Juli 2021, bereits 17 Millionen Mal heruntergeladen. Damit hat sie in den USA die Amazon-App als erfolgreichste Shopping-App abgehängt. Dass Sheins kometenhafter Aufstieg noch weiter anhält und es zukünftig weltweit als Modemarke eine herausragende Rolle spielen wird, ist stark anzunehmen.

Argumente und Strategien gegen Fast- und Ultra-Fast-Fashion

Wie kann man mit Heranwachsenden argumentieren, wenn es um Mode- und Konsumthemen geht, die in sozialen Medien eine überproportionale Rolle einnehmen? Hier ein paar Argument-Schablonen für Erziehende, Lehrkräfte und Eltern:

Du bist du!

Der Selbstwert hängt nicht davon ab, wie oft du an der „Outfit oft the Day“-Challenge teilnimmst, ob du bei den „Hauls“ mithalten und beim „Hot Girl Summer“ mitreden kannst! Deine Kleidung bestimmt nicht, ob du attraktiv bist oder zu einer bestimmten Gruppe zählst. Du bestimmst, was zu dir passt und was deinen Charakter unterstreicht – und nicht die Empfehlungen von Influencerinnen.

Lass dich nicht ködern! Versteh die emotionale Seite!

Für viele Influencer sind ihre Follower der Rohstoff für ihren wirtschaftlichen Erfolg. Umso mehr müssen Follower emotional geködert werden, um den Stars ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Dafür nutzen Influencerinnen in ihren Posts einen Mix aus Angst, Neugier und Provokation: deine Angst etwas zu verpassen oder Außenseiter zu sein, deine Neugier, damit du mitreden kannst sowie Grenzüberschreitungen, um deine Aufmerksamkeit zu erlangen. Auch beim Angeben mit Wäschebergen von Shein-Klamotten werden diese Methoden eingesetzt. Wenn du diese Trigger erkennst, wirst du resistenter gegen die verlockenden Angebote.

Denk wirtschaftlich! Fast-Fashion ist nicht günstig.

Mode-Journalistin Lucy Siegle wird mit folgendem Satz zitiert: „Fast Fashion ist nicht günstig. Irgendjemand zahlt irgendwo in der Welt einen hohen Preis dafür!“. Neben den hohen Kosten für Umwelt und Arbeitskräfte zahlst du selbst langfristig darauf. Wenn Kleidung schnell kaputtgeht und entsorgt wird, wird dein Bedarf an neuen Kleidungsstücken höher. Ergo, du zahlst weniger pro Stück, aber mehr für die Gesamtmenge! Wenn du stattdessen langfristig in wenige, aber gut verarbeitete Kleidungsstücke investierst, wirst du diese lieben lernen, pflegen und deutlich länger tragen. Nebenbei hat hochwertige, klassische Kleidung einen deutlich höheren Wiederverkaufspreis.

Sei Mode-kompetent!

Mode ist eine eigene Sprache. Aber auch mit wenigen gut ausgewählten Stücken lässt sich ein ganzes Gedicht kreieren. Wer Spaß an Mode hat, wird schnell merken, dass es noch mehr Angebot als Zara, H&M oder Shein gibt und im Second-Hand-Markt eine riesige Auswahl existiert. Ein passendes Outfit kann genauso wie Kochen mit Geduld, Recherche und Praxis erlernt werden – und genau wie bei einem guten Essen, wird es durch günstige „Zutaten“ nicht besser, sondern eher beliebiger.

Stand: Januar 2022

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